Der Sommer 2019 beginnt spät, extrem kühl und niederschlagsreich. Immer wieder schaue ich auf die Trail Reports, die für die Nationalparks herausgegeben werden. Erst kurz vor meinem geplanten Starttermin wechselt die Beschreibung endlich von „nicht empfehlenswert“ zu „schlecht“ oder „mäßig“. Auf den Pässen soll noch Schnee liegen. Ich nehme die Bedingungen in Kauf, denn kurzfristige Änderungen der bereits im Januar gebuchten Campingplätze sind so gut wie unmöglich. Die wenigen Plätze im Backcountry sind äußerst begehrt und jedes Jahr innerhalb kürzester Zeit ausgebucht.
Das Castle Mountain Wilderness Hostel ist mein Ziel für die erste Nacht. Es liegt zwischen Lake Louise und Banff an der Castle Junction. Von dort führt Highway 93S in den Kootenay Nationalpark zum Vista Lake Trailhead, dem Startpunkt für meine Wanderung.
Für die 600 Kilometer lange Fahrt brauche ich mit Tank- und Rastpausen etwa sieben Stunden. Das Wetter ist gut. Das Hostel öffnet erst um 17 Uhr und ist noch geschlossen, als ich am Nachmittag eintreffe. Der Betreuer ist jedoch schon anwesend und lässt mich freundlicherweise hinein, damit ich mein Gepäck abstellen kann. Er empfiehlt mir den Besuch der Wildblumenblüte auf den Sunshine Meadows bei Banff, die gerade auf ihrem Höhepunkt ist. Da die verbleibenden Nachmittagsstunden für diesen Ausflug nicht ausreichen, gehe ich stattdessen eine Runde spazieren und besorge mir vom Kiosk bei den Castle Mountain Chalets ein kaltes Bier fürs Abendessen.
Das Hostel ist eine einfache, aber gemütliche Unterkunft. Es hat zwei Schlafsäle für je 14 Personen und bietet alle sanitären Einrichtungen einschließlich Duschen, die für Wilderness Hostels ein Luxus sind.
Beim Abendessen lerne ich einige der anderen Gäste kennen. Mit der Französisch-Kanadierin, Patrice, die mit dem Motorrad unterwegs ist, tausche ich einige unterhaltsame Anekdoten aus. Diese zierliche und überaus energische Person rast auf wahren Mammutstrecken durch das ganze Land. Neben ihr wirkt das Motorrad überdimensioniert.
Mit einem vorerst letzten Anruf verabschiede ich mich von zu Hause, denn unterwegs gibt es keinen Handyempfang. Dann lese ich als Einstimmung auf meine Woche in der Wildnis noch ein wenig in meinem Wanderführer und ziehe mich für eine ruhige Nacht zurück.
Entfernung | 19,6 km |
Dauer | 7 ½ Std |
Inkl. Pausen | 9 ½ Std |
Min. Höhe | 1569 m |
Max. Höhe | 2308 m |
Anstieg | 739 m |
Kum. Anstieg | 1515 m |
Kum. Abstieg | 1268 m |
Ich habe heute eine lange Strecke vor mir. Da der Wanderparkplatz sich recht nahe beim Hostel befindet, bin ich schon um 7 Uhr auf dem Weg. Die 15,5 Kilometer zum Shadow Lake sind erst der Anfang. Vom Highway führt der Weg steil hinunter zum Vista Lake. Bei Windstille und im Sonnenschein zeigt der See ein tiefes Blau.
Vom Vista Lake in der Talsohle geht es auf der anderen Seite bergauf. An diesem Hang wachsen erste Lärchen. Vom Highway schallt das unentwegte Rauschen des Verkehrs herüber. Dann wird der Wald dichter und das Geräusch verschluckt. Nach etwa eineinhalb Stunden erreiche ich den jadefarbenen Arnica Lake auf 2155 Metern Höhe.
Der Pfad steigt über einen Ausläufer von Storm Mountain bis auf 2285 Meter und dann wieder hinunter zum Upper Twin Lake bei 2090 Metern.
Ich überquere den Auslass des Sees auf ein paar im Wasser liegenden Felsbrocken. Der Wasserstand ist recht hoch, aber ich gelange trockenen Fußes hinüber zum Twin Lakes Campground. Hier mache ich Mittagsrast.
Unterwegs zum Lower Twin Lake kreuze ich einen Wanderweg, der bei Castle Junction beginnt. Überwachsen und matschig wie er ist, scheint er nicht oft benutzt zu werden. Seit dem Arnica Lake ist mein Pfad ebenfalls unwegsam: übersät von losem Geröll und dicken Felsbrocken, außerdem immer wieder nass. Ich muss höllisch aufpassen, nicht zu stolpern oder in matschige Pfützen zu tappen. Kein Wunder, dass im Trail Report die Bedingungen bis zuletzt als „schlecht“ eingestuft waren. Über eine Brücke gelange ich ans Nordende des Sees. Gegenüber stürzt ein Wasserfall in den Lower Twin Lake. Um einen besseren Blick auf die Wasserfälle zu bekommen, laufe ich auf einem halb unter Wasser stehenden, kaum zu erkennenden Pfad ein Stückchen am See entlang,
Da der Trampelpfad immer mehr überflutet ist, kehre ich zum Hauptweg zurück und mache mich an den Anstieg zum Gibbon Pass. Der Wald besteht nun fast nur noch aus Lärchen. Das derzeitige hellgrüne Gewand dieser Nadelbäume gefällt mir. Im Herbst, wenn sie ihre goldene Farbe bekommen, wird es hier noch prächtiger aussehen als jetzt schon. Wenig später erreiche ich den Gibbon Pass.
Vom Pass aus kann ich einen ersten Blick auf Little Copper Mountain werfen, den ich auf dem Rückweg ersteigen möchte, sofern es das Wetter zulässt.
Der Pass ist eher unspektakulär und hauptsächlich für seine herbstlich goldenen Lärchen berühmt.
Auf der anderen Seite des Passes wird Mount Ball sichtbar, an dessen Fuß mein heutiges Etappenziel, der Ball Pass Junction Campground, liegt. Vom Gibbon Pass geht es 445 Meter und 40 Minuten lang hinunter zu einer Wegkreuzung. Dort wandere ich in Richtung Shadow Lake. Dieser große See liegt malerisch zwischen Storm Mountain und Mount Ball.
Auf der langen Brücke über den Seeauslass treffe ich auf ein asiatisches Ehepaar. Sie suchen die Shadow Lake Lodge. Diese liegt genau wie der gleichnamige Campingplatz nicht am Shadow Lake sondern auf der anderen Seite der Wegkreuzung, die ich vor kurzem passiert habe. Die beiden sind erleichtert, dass sie auf dem richtigen Weg sind, auch wenn sie noch ein Stück weiter laufen müssen, als sie dachten. Bis zu meinem Campingplatz am Ball Pass ist es noch eine Stunde. Ich bin froh, als ich ihn endlich erreiche, denn diese erste Tagesetappe war mit über 19 Kilometern auf dem extrem rauen Pfad mit vielen An- und Abstiegen sehr anstrengend.
Der Ball Pass Junction Campground hat nur 6 Plätze. Ich nehme den mit der Nummer 1. Er liegt etwas abseits, im Schatten und ganz nah beim Bach. Kaum habe ich das Zelt aufgebaut, erfrische ich mich im kalten Wasser des Baches und bade meine Füße. Dann bereite ich mein Essen zu, denn es ist schon später Nachmittag. Der Campingplatz ist von markanten Bergformationen umgeben, die ich vom Picknicktisch aus bewundere.
Inzwischen sind noch einige zusätzliche Zelte von Langstrecken-Wanderern hinzugekommen, die auf dem Great Divide Trail (GDT) unterwegs sind. Sie sind nicht im Zeitplan und haben deswegen keine Reservierung, aber es gibt genug Platz für alle.
GDT-Wanderer sind überwiegend junge Leute, die sich einen ganzen Sommer Zeit nehmen, ja sogar ihren Job aufgeben, um die mehr als 1200 Kilometer vom Waterton Nationalpark im Süden bis zum Mt. Robson Provinzpark im Norden zu wandern. Dabei führt sie der Weg über die höchsten Pässe der Rocky Mountains an der Grenze zwischen British Columbia und Alberta entlang. Das offizielle Ende des Trails liegt sogar noch weiter nördlich im schwer zugänglichen Kakwa Provinzpark in British Columbia.
Etwa alle sieben Tage müssen die Wanderer sich mit neuer Nahrung und Ausrüstung versorgen. Dazu verlassen sie den Trail und laufen Orte mit einem Lebensmittelladen oder mit einer Poststelle an, an die sie vorab ein Carepaket postlagernd an sich selbst geschickt haben. Um die Strecke in einem Sommer zu meistern, wandern sie an den meisten Tagen zwischen 20 und 30 Kilometer. Die gesamte Distanz zwischen Egypt Lake und Floe Lake wird an einem einzigen Tag zurückgelegt, gefolgt vom Rockwall Trail in nur zweien. Ich finde das faszinierend und stelle mit einem gewissen Stolz fest, dass ich auch schon große Teile des GDT zurückgelegt habe, in jedem Sommer eine Teilstrecke mehr. Meine diesjährige Route verläuft ebenfalls an der Wasserscheide der Rocky Mountains entlang und so werde ich noch auf einige der Langstrecken-Wanderer treffen.
Beim Essen lerne ich „meine drei Jungs“ kennen, die ab hier exakt die gleiche Strecke geplant haben wie ich, und die ich von nun an auf jedem Campingplatz wiedertreffen werde. Die beiden Älteren sind Cousins, die mit dieser Wanderung ihre fünfzigsten Geburtstage begehen. Der Jüngere, Mitte zwanzig, ist der Sohn des einen. Auch wenn wir zeitversetzt wandern, weil der Jüngste morgens gern ausschläft, ist unser Wiedersehen am Nachmittag fast wie nach Hause kommen. Die Drei hatten vorher am Shadow Lake übernachtet und daher heute noch Zeit, auf den Ball Pass zu klettern. Dies ist mein Plan für morgen früh, bevor ich zum Egypt Lake aufbreche.
Entfernung | 5,2 km |
Dauer | 1 ¼ Std |
Inkl. Pausen | 1 ½ Std |
Min. Höhe | 1917 m |
Max. Höhe | 2200 m |
Anstieg | 283 m |
Kum. Anstieg | 461 m |
Kum. Abstieg | 461 m |
Ein klarer, aber kalter Morgen begrüßt mich. Nach einem Kaffee und heißem Porridge mit eingeweichten Früchten breche ich noch vor sieben Uhr zum Ball Pass auf. Der Platz, an dem ich mein Zelt aufgebaut habe, wird noch länger keine Sonne sehen. Bis ich von meinem Ausflug zurück bin, wird das Zelt vielleicht trocken sein.
Zunächst wandere ich an einem Bach entlang und es geht nur gemächlich bergan. Doch auf dem letzten Stück zum Pass hinauf wird der Pfad steil, eng und steinig. Mit dem vollgepackten knapp 16 Kilogramm schweren Rucksack wäre diese rutschige Passage nicht ganz einfach gewesen. Mit meinem leichten Tagesgepäck stellt sie jedoch kein Problem dar.
Vom Pass aus schaue ich zurück auf Mount Ball mit seinem Hängegletscher, auf Isabelle Peak auf der einen und Haiduk Peak auf der anderen Seite, die den Pass einrahmen.
Ich gehe noch ein Stück über den Pass hinaus in der Hoffnung, dass sich mir auch auf der anderen Seite eine lohnenswerte Aussicht bietet, doch dafür müsste ich zu weit absteigen. Der Kontrast der beiden Pass-Seiten ist groß: auf dieser Seite karge Felsen und Schnee, auf der anderen Krummholz und Wiesen.
Nachdem ich das rutschige Geröll zu Beginn des Abstiegs hinter mir gelassen habe, bin ich blitzschnell wieder auf dem Campingplatz zurück. Mein Zelt ist nun das einzige dort, denn alle anderen Camper sind inzwischen aufgebrochen. Es steht leider immer noch nicht in der Sonne, daher muss ich es nass einpacken und das zusätzliche Gewicht des Wassers in Kauf nehmen. Gut eine Stunde später bin ich startklar für meine heutige Streckenwanderung zum Egypt Lake. Dort werde ich meine drei Freunde wiedersehen.
Entfernung | 11 km |
Dauer | 3 Std |
Inkl. Pausen | 5 Std |
Min. Höhe | 1916 m |
Max. Höhe | 2303 m |
Anstieg | 387 m |
Kum. Anstieg | 708 m |
Kum. Abstieg | 861 m |
Um zehn Uhr breche ich vom Campingplatz auf. Es geht eine Weile bergauf, dann verläuft der Weg relativ flach durch das Tal des Haiduk Creek. Zu meiner Rechten erhebt sich Haiduk Peak.
Bald erreiche ich eine Feuchtwiese mit einem Teich in der Mitte, hinter der einer der Gipfel von Pharaoh Peak aufragt.
Nach weiteren zehn Minuten, insgesamt gut eine Stunde nach meinem Aufbruch, erreiche ich den Haiduk Lake. Der See und die Uhrzeit laden zur Mittagsrast ein.
Nun erwartet mich ernsthaft der Aufstieg zum 2290 Meter hohen Whistling Pass, der von dieser Seite aussieht wie eine Steilwand.
Der Weg hinauf ist steil, aber gut zu laufen, wesentlich besser als der zum Ball Pass.
Die Aussicht vom Pass in Richtung Mount Ball und Haiduk Lake ist einzigartig.
Ein Stück hinter dem Pass haben sich zwei Wanderer auf einem Felsbrocken niedergelassen und genießen die Aussicht in die andere Richtung. Es ist schwer zu entscheiden, welche von beiden die schönere ist.
Der Weg verläuft nun bergab ins Tal des Egypt Lakes. Zuerst halte ich den markanten Berg auf dem Foto für die Sphinx, aber laut Karte ist er nur ein namenloser Gipfel dahinter. Für die aus dem Jahr 1922 stammenden Bezeichnungen in diesem Gebiet benutzten die Landvermesser ein ägyptisches Thema, wobei die Namen aber nicht auf das Aussehen der jeweiligen Berge, Seen oder Flüsse anspielen.
Ich stoße auf die Abbiegung zu Scarab Lake und Mummy Lake. Den Abstecher dorthin muss ich auf ein anderes Mal verschieben, denn ich bin bereits zu müde für diesen Umweg. Der Pfad hinunter ins Tal wird nun extrem steil, felsig und nass. Er mutet eher wie ein Bachbett voller Geröll an als ein Weg. Das Aufsetzen der Füße erfordert große Aufmerksamkeit, damit ich nicht stürze. Immer wieder droht mich der schwere Rucksack aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nach einer mir endlos vorkommenden Strecke, auf der mir einige Tageswanderer entgegenkommen und mir ermunternd zurufen, dass es jetzt nicht mehr weit sei, erreiche ich die Talsohle.
Ich lasse den Pfad zum Egypt Lake rechts liegen und steuere direkt auf den Egypt Lake Campground zu, der sich trotz seines Namens nicht am See befindet. Er bietet 13 Zeltplätze und eine Schutzhütte mit 12 Schlafplätzen in einer Art Riesenetagenbett, das aus zwei übereinander gebauten Holzplattformen für je sechs Personen besteht. Man hat in der Hütte zwar ein festes Dach über dem Kopf, aber ein solches Massenlager wäre nichts für mich. Dann bibbere ich bei schlechtem Wetter lieber im Zelt, doch ganz für mich allein.
Die meisten Zeltplätze liegen oberhalb des Pharaoh Creek und sind schon besetzt. Ich suche einen, der nicht meilenweit von Essplatz, Wasserstelle und Toilette entfernt ist. Wie auf den meisten Campingplätzen im Backcountry sind auch hier die verschiedenen Bereiche wegen der Bären und aus Hygienegründen sehr weit voneinander entfernt und über steile und oft matschige Pfade verbunden. Schließlich entscheide ich mich für einen Platz gegenüber der Schutzhütte und schlage mein Zelt auf.
Ich verstaue mein Essen bärensicher in den Metallboxen am Picknickplatz. Die Wasserstelle liegt unten am Fluss und ist nur über einen steilen Pfad zu erreichen. Auf diese Extrakletterei kann ich nach meiner langen Wanderung gut verzichten.
Es ist noch früh und das Wetter schön, so dass ich die Energie aufbringe, den guten Kilometer zum Egypt Lake zurückzugehen, den ich mir natürlich keinesfalls entgehen lassen will.
Dort treffe ich auf meine drei Jungs, die den heißen Nachmittag mit einem kühlenden Bad im See verbracht haben. Inzwischen ist Wind aufgekommen und es ist nicht mehr so warm. Wir tauschen unsere Erlebnisse des Tages aus. Die Drei haben beschlossen, am Seeufer zu kochen. Das stelle ich mir bei einer solchen Brise recht mühsam vor, denn die Flamme des Campingkochers wird nicht heiß genug oder gleich ausgeblasen werden. Ich mache mich auf den Rückweg, und bereite mein Abendessen auf dem Picknickplatz zu. Trotz des Winds gibt es extrem viele Mücken dort. Ich wurde bereits vorgewarnt, dass dieser Campingplatz berüchtigt dafür ist. Die Mücken sind eine beliebte Einleitung, um mit den anderen Wanderern ins Gespräch zu kommen. Eine Gruppe, mit der ich den Tisch teile, hängt eine Plane auf, denn für die Nacht ist Regen angesagt.
Tatsächlich zieht noch am Abend ein Gewitter ins Tal. Einige Unbeirrbare harren trotz des Regens draußen zum Fotografieren aus. Ich erlebe den Regenguss begleitet von Blitz und Donner lieber im Zelt.
Entfernung | 4,8 km |
Dauer | 1 ½ Std |
Inkl. Pausen | 2 Std |
Min. Höhe | 2004 m |
Max. Höhe | 2229 m |
Anstieg | 225 m |
Kum. Anstieg | 403 m |
Kum. Abstieg | 403 m |
Leider war es mit dem gestrigen Abendgewitter noch nicht getan. Ich werde durch einen starken Wind aus tiefstem Schlaf gerissen. Er zerrt am Zelt, und die Außenplane beginnt heftig zu flattern. Ein neues Gewitter zieht heran. Diesmal kreist es direkt über unserem Zeltplatz. Sintflutartiger Regen geht hernieder, begleitet von Blitz und Donner. Die Windböen reißen so sehr an meinem Zelt, dass sich die Stangen in alle Richtungen verbiegen und zu brechen drohen. An Schlafen ist nicht mehr zu denken. Es braust und tost um mich herum, der Donner kracht mit vielfachem Echo durch die Berge, und abgesehen von dem sporadisch gleißenden Licht der Blitze ist es stockfinster.
Zur Beruhigung knipse ich meine kleine Zeltlampe an. Im schummrigen Licht muss ich entdecken, dass Wasser unter meinen Zeltboden flutet. Das Wasser läuft von der Außenplane zwischen Unterboden und Innenboden und bildet dort eine Lache, die sich stetig ausdehnt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie durch den Innenboden dringt. Außerdem tropft es an einer der Zeltstangen herein, wo das Innenzelt die Außenplane berührt. Meine Luftmatratze hat nur dreiviertel Länge, ist also recht klein, um als Rettungsinsel für mich selbst und mein Inventar zu dienen. Notdürftig wickele ich meine Sachen in Plastiktüten, in der Hoffnung sie so vor der zunehmenden Nässe zu schützen.
Das Gewitter will nicht enden. Sobald ich glaube, dass Wind und Regen etwas nachlassen, rumpelt neuer Donner näher und die Blitze werden wieder häufiger. Das Unwetter fährt über uns Karussell. Gegen Morgen hat es sich endlich ausgetobt, und kräftige Schauern wechseln sich mit leichtem Dauerregen ab. Irgendwann muss ich wohl doch wieder eingeschlafen sein.
Erst als es hell wird, verstummt ab und zu das Prasseln des Regens auf die Zeltplane. Ich werfe mich in meine Regenmontur und krieche aus dem Zelt. Zur Toilette ist es zum Glück nicht weit, aber der Weg zum Essplatz ist ein rutschiger Treck durch Schlamm und riesige Pfützen. Es gelingt mir, dank der von den Camp-Nachbarn über dem Tisch aufgehängten Plane halbwegs im Trockenen zu frühstücken. Man sollte glauben, dass die Sintflut wenigstens die Mücken vergrault hätte. Doch nein, sie sind wohlauf und zahlreich wie immer. Sie genießen die wohlige, aber todbringende Wärme in meinem mit heißem Porridge und eingeweichten Trockenfrüchten gefüllten Teller. Auf diese Proteinzugabe zu meinem Frühstück könnte ich gut verzichten.
Der Himmel sieht nicht sehr vielversprechend aus. Die Wolken hängen tief im Tal. Immer wieder wehen dunkle Fetzen heran, die neue Regenschauern bringen. Große Lust auf die geplante Tageswanderung zum Healy Pass verspüre ich nicht. Von den drei Jungs ist noch keine Spur zu sehen. Sie wollten heute auch auf den Pass. Ich sehe in meinem Zelt nach dem Rechten. Das Inventar ist feucht und der Boden nass, denn die Pfütze hat sich nun fast unter dem gesamten Zeltboden ausgebreitet. Ich wische notdürftig herum, ohne viel ausrichten zu können. Mir graust es vor der nächsten Nacht in dieser klammen Unterkunft. Immer wieder schaue ich nach draußen, ob der Himmel vielleicht endlich ein Einsehen hat.
Gegen 11 Uhr haben die Regenpausen lange genug angehalten, so dass ich beschließe, wenigstens eine kleine Tageswanderung zum Black Rock Lake zu riskieren. Die erste Station ist der Pharaoh Lake. Der Pfad hierher ist sehr schmal und wenig ausgetreten, deshalb sind meine Wanderstiefel der nassen Vegetation ausgesetzt. Lange werden sie meine Füße nicht trocken halten.
Ein Stückchen blauer Himmel treibt heran. Mit einem Bild von Pharaoh Peak am gleichnamigen See fange ich es ein.
In Richtung Black Rock Lake sieht der Himmel wieder dunkel aus. Trotzdem gehe ich beharrlich bis zu meinem heutigen Ziel weiter.
So sehr ich mich angesichts des schwarzen Himmels auf dem Rückweg beeile, geht gerade bevor ich den Campingplatz erreiche, ein weiterer Wolkenbruch nieder. Es donnert auch schon wieder. Ich flüchte mich in die Schutzhütte. Sie ist inzwischen von mehreren Zeltcampern belagert. Die Gruppe, die die Hütte letzte Nacht reserviert hatte, ist schon fort und die neuen Mieter sind noch nicht eingetroffen. Der Ofen bullert und überall hängen Sachen zum Trocknen. Eine Familie mit Kindern sitzt am Tisch und vertreibt sich die Zeit mit Kartenspielen. Ich finde noch ein Plätzchen am Ofen und ziehe meine Wanderstiefel aus. Meine Strümpfe sind klitschnass. Ich stelle Schuhe und Innensohlen an den Ofen und hänge meine Socken auf eine Leine, die zwischen Wand und Ofen gespannt ist.
Einige der Camper sind, wie ich höre, mit der Seilbahn nach Upper Sunshine Village gefahren und von dort über den Healy Pass zum Egypt Lake hinunter gewandert. Diese Möglichkeit hierher zu gelangen, klingt sehr bequem und ich plane sie gleich für nächstes Jahr ein, denn am Egypt Lake gibt es so viel zu sehen, dass ich selbst ohne den Regentag nicht alles geschafft hätte.
Zwei von den drei Jungs stürmen herein. Sie waren wie geplant auf dem Healy Pass und sind völlig durchnässt. Oben auf der Höhe konnten sie sogar für einen kurzen Moment die Aussicht genießen. Viel zu schnell kehrten Wolken und Regen zurück und sie joggten den Pass hinunter. Eine Weile später trudelt auch der Dritte im Bunde ein, der nicht zum Joggen aufgelegt war. Er zeigt mir ein Video auf seinem iPhone von dem hereinbrechenden Gewitter gestern Abend. Er hatte das iPhone am Egypt Lake aufgestellt, um den Sonnenuntergang zu filmen und musste dann den Kilometer dorthin zurückjoggen, um es vor dem Unwetter zu retten. Es wird ein Nachmittag mit vielen interessanten Gesprächen, in denen ich die Drei besser kennenlerne. Dann kommt Antoine dazu, der auf dem Great Divide Trail unterwegs ist. Er stammt aus Quebec und hofft auf meine Französischkenntnisse, aber mein Radebrechen lässt uns schnell wieder ins Englische wechseln.
Die Nässe in und unter meinem Zelt lässt mir keine Ruhe. In einer längeren Regenpause wage ich mich hinaus und transportiere alle Sachen aus dem Zelt in die Hütte, wo ich sie auf einer der Schlafplattformen zum Trocknen ausbreite. Dann suche ich mir einen neuen Zeltplatz. Hinter der Schutzhütte ist einer frei geworden, der die Nacht besser überstanden hat als meiner, denn er ist eben und dick mit Holzspänen belegt. Ich beeile mich, das Zelt dorthin zu versetzen. Es nieselt zwar ein wenig auf das Innenzelt, aber wenigstens kann ich den nassen Zeltboden von unten abwischen. So werde ich die nächste Nacht hoffentlich halbwegs trocken durchstehen.
Wir haben noch Zeit für ein frühes Abendessen in der Hütte, bevor die nächste Gruppe eintrifft und wir das Feld räumen müssen. Nicht nur Antoine ist von dem köstlichen Duft meines re-hydrierten Brokkoli angetan. Sein Essen ist, wie das vieler Wanderer, Fertigware aus Tüten, die nur mit heißem Wasser aufgegossen wird. Da dies teuer und nicht sehr gesund ist, stelle ich das Essen für meine Rucksacktouren immer selbst her und habe mir dafür einen Lebensmitteltrockner angeschafft.
Ich beende den Abend früh im Zelt. Meine Sachen sind leidlich trocken geworden. Alles ist viel glimpflicher abgelaufen, als ich befürchtet hatte.
Entfernung | 7,6 km |
Dauer | 1 ½ Std |
Inkl. Pausen | 1 ¾ Std |
Min. Höhe | 1987 m |
Max. Höhe | 2364 m |
Anstieg | 377 m |
Kum. Anstieg | 495 m |
Kum. Abstieg | 495 m |
Ich schlafe gut in dieser Nacht, vor allem, nachdem es aufhörte zu regnen. Am Morgen hängen zwar noch Wolken im Tal, aber die helle Farbe des Himmels lässt hoffen.
Ich werde heute Morgen den verregneten Ausflug zum Healy Pass nachholen. Danach schlage ich über die Route am Pharaoh Creek entlang den Rückweg zum Shadow Lake ein. Den Plan, wieder über den Whistling Pass zurückzulaufen, habe ich verworfen, denn ich möchte den Pfad durch die Steilwand, der nach dem Unwetter bestimmt noch unwegsamer geworden ist, nicht vollbepackt hochklettern. Einige GDT-Wanderer sind jedoch schon in diese Richtung unterwegs zum Floe Lake. Sie haben keine andere Wahl.
Nach dem Frühstück bin startklar. Es ist erst sieben Uhr, und Ich werde ungefähr eine Stunde bis zum Pass brauchen. Schon bald verlässt der Pfad den Wald. Die Wolken lichten sich und geben die Aussicht auf die umliegenden Berge frei. Wildblumen blühen am Wegesrand.
Kurz vor dem Pass habe ich den besten Blick zurück auf Scarab Peak mit Scarab Lake und Egypt Lake, die durch einen 30 Meter hohen Wasserfall verbunden sind.
Den Pfad zu dem Wasserfall zwischen den beiden Seen werde ich erkunden, wenn ich im nächsten Sommer noch einmal an den Egypt Lake zurückkehre.
Ich erreiche den Pass bei 2370 Metern. Unter anderem blicke ich auf den majestätischen Monarch und die Monarch Ramparts. Die am Himmel treibenden Wolken schmälern die Schönheit der Umgebung nicht, ganz im Gegenteil.
Um die empfindliche alpine Vegetation zu schützen, ist es mittlerweile streng verboten, vom Pass aus querfeldein zu wandern. So sind die Monarch Ramparts und Healy Pass Peak off Limit. Ich hätte dafür an diesem Morgen ohnehin nicht die Zeit gehabt. Stattdessen gehe ich noch ein Stück auf der anderen Seite des Passes hinunter, um die Wildblumen der Sunshine Meadows zu bewundern.
Schließlich mache ich mich auf den Rückweg und trabe so schnell es geht den Berg hinunter. Ich packe das inzwischen abgetrocknete Zelt ein und breche um kurz vor 11 Uhr wieder auf. Die drei Jungs werde ich am Shadow Lake wiedersehen, denn sie sind schon längst dorthin unterwegs.
Entfernung | 12,1 km |
Dauer | 3 ¼ Std |
Inkl. Pausen | 4 ¼ Std |
Min. Höhe | 1724 m |
Max. Höhe | 2012 m |
Abstieg | 288 m |
Kum. Anstieg | 776 m |
Kum. Abstieg | 872 m |
Der Weg führt durch das Tal des Pharaoh Creek bis zu seinem Zusammenfluss mit dem Redearth Creek. Anfangs öffnen sich noch hier und dort Ausblicke auf Pharaoh Peak.
Dann tauche ich in dichten Wald ein. Am Pharaoh Creek Campground fülle ich meine Wasserflasche auf und lege eine kurze Rast ein. Immer wieder überquere ich nun kleine Brücken über die vielen Zuflüsse des Pharaoh Creek. Anscheinend führen diese während der Schneeschmelze Hochwasser, denn die Brückenbalken sind jeweils sehr hoch angelegt. Mit dem schweren Rucksack auf den Schultern ist der Schritt hinauf äußerst mühsam.
Plötzlich führt der Weg vom Fluss weg steil bergan, was meiner Karte und dem GPS widerspricht. Ein Camper hatte mir gestern in der Schutzhütte erzählt, dass der Pfad verlegt wurde, weil die Brücken in der Nähe des Pharaoh Creek regelmäßig weggeschwemmt werden und fast jedes Frühjahr erneuert werden müssen. Ich bin froh, dass ich mich an diese Information erinnere und mich nicht verlaufen habe. Auf der neuen Streckenführung passiere ich weiterhin unzählige Brücken, die aber derzeit nur trockene Bachbetten queren.
Am Ende der Umgehung windet sich der Pfad wieder hinunter ins Tal des Pharaoh Creek. Zwei solide, mit Geländern ausgestattete Brücken überqueren den Pharaoh und den Redearth Creek. Der Zusammenfluss der beiden Bäche führt schäumendes Wildwasser. Die Ufersteine und die Erde im Bett des Redearth Creek sind stark eisenhaltig und rot gefärbt. So kam der Fluss zu seinem Namen. Ich laufe an der Redearth Creek Cabin vorbei, die als Ranger Station genutzt wird, aber zurzeit verriegelt ist.
An der Abzweigung zum Shadow Lake Campground und der gleichnamigen Lodge stehen zwei Mountain Bikes. Radler, die über den Redearth Creek Trail kommen, müssen ihr Gefährt hier abstellen und zu Fuß weiter gehen.
Der noch vor mir liegende Weg bis zum Campground führt erst einmal wieder steil bergauf. Es geht über einen zwar breiten, aber mit Wurzeln und Felsen durchsetzten Weg. Dann gelange ich in ein Feuchtgebiet, das ich über einen langen Steg aus Holz (Boardwalk) durchquere. Der Campingplatz liegt direkt neben der Lodge und ist nur durch einen kleinen Bach von ihr getrennt. Beide liegen trotz ihres Namens einige Kilometer vom Shadow Lake entfernt.
Ich wähle einen sonnigen Platz, auch wenn es jetzt am Nachmittag eigentlich zu heiß ist. Ich möchte Morgensonne für mein Zelt, da ich es immer gerne trocken einpacke. Die drei Jungs haben ihr Domizil in den Bäumen am Bach aufgeschlagen, scheinen aber gerade auf einem Ausflug zu sein. Plötzlich taucht der Quebecer Antoine aus dem Zelt neben mir auf, was zu einem großen Hallo auf Englisch und Französisch führt. Er macht hier nur ein paar Stunden Rast, um Schlaf nachzuholen. Er wird heute noch den Redearth Creek Trail hinauswandern und anschließend bei Bekannten in Banff ein paar Tage Pause vom GDT machen.
Die Wasserstelle am Bach ist mit einer Leitung versehen. Das Wasser sprudelt in bequemer Reichweite heraus. Das ist so praktisch, dass ich für den morgigen letzten Tag der Wanderung mein T-Shirt noch einmal wasche.
Am Abend trudeln noch zwei junge Frauen ein, die Antoines inzwischen freigewordenen Platz belegen. Ich esse mit den drei Jungs heute noch ein letztes Mal zusammen zu Abend. Morgen früh werden wir uns leider verabschieden müssen. Sie waren eine ausgesprochen nette Gesellschaft. Die Drei haben mich adoptiert, sagen sie. Rein altersbedingt kann es jedoch nur umgekehrt sein.
Entfernung inkl. Little Copper Mtn 2,4 km | 17,4 km |
Dauer | 6 Std |
Inkl. Pausen | 8 ½ Std |
Min. Höhe | 1584 m |
Max. Höhe | 2586 m |
Anstieg | 1002 m |
Kum. Anstieg | 1432 m |
Kum. Abstieg | 1906 m |
Mein Wunsch, ein trockenes Zelt einzupacken, wird leider nicht erfüllt. Hohe Luftfeuchtigkeit und niedrige Nachttemperatur verursachen starken Tau auf den Planen und Kondensation von innen. Ich verabschiede mich von meinen drei Freunden. Sie werden heute ausnahmsweise vor mir auf der Strecke sein, weil sie nach der Wanderung noch bis nach Hause ins Okanagan fahren wollen.
Es ist nur einen Kilometer bis zur Abzweigung zum Gibbon Pass, an der sich meine Runde auf dieser Wanderung schließt. Der Aufstieg zum Pass ist steil, doch Sonne und blauer Himmel sowie die Vorfreude auf die Ersteigung von Little Copper Mountain erleichtern mir den Weg. Schnell erreiche ich den Gibbon Pass.
Ich werfe einen ersten Blick auf mein Ausflugsziel: Little Copper Mountain.
Auf einem gut sichtbaren Trampelpfad steige ich in den Lärchenwald hinauf. Hier will ich mein Zelt zurücklassen und mit einem leichteren Rucksack weiterlaufen. Da es während meiner Klettertour trocknen soll, spanne ich eine Leine zwischen die Bäume und hänge die Außenplane daran auf. Sie flattert so heftig im starken und böigen Wind, dass es regelrecht knallt. Ich traue mich nicht, das Zelt so zurückzulassen, denn es könnte sich losreißen und wegwehen. Stattdessen warte ich, bis es trocken ist, rolle es wieder zusammen und klemme den gepackten Zeltbeutel in einer Baumgabel fest.
Nun beginne ich mit dem Anstieg. Es sind gut 300 Höhenmeter, die mich zunächst durch lichten Lärchenwald führen und dann über vegetationsloses Geröll bis zum 2590 Meter hohen Gipfel. Unterwegs ist der Wiedereinstieg in den Wald für den späteren Rückweg mit einer Steinpyramide markiert. Laut Wanderbuch existiert auch eine leichtere, dafür längere Route von Norden her, während mir mein Anstieg hier fast vertikal vorkommt. Schwer schnaufend und mit weichen Knien erreiche ich nach einer guten halben Stunde den Gipfel.
Die 360 Grad Aussicht ist jede Strapaze wert. Sie beschert mir einen dieser euphorischen Momente, in denen man über den Wolken zu schweben scheint und sich eins fühlt mit der Natur.
Selbst Mount Assiniboine ist in der Ferne zu sehen. Ich bin froh, dass ich den Aufstieg gewagt habe. Der Ausflug macht den verregneten Tag am Egypt Lake mehr als wett und ist ein weiteres Highlight meiner Tour.
Ich mache mich an den Abstieg, der recht schnell bewältigt ist. Unterwegs sammele ich meinen Zeltbeutel wieder ein. Der Ausflug hat mich nur eine Stunde gekostet, doch ich ahne, dass ich ihn auf dem beschwerlichen Weg über Berg und Tal bis zum Parkplatz noch heftig in meinen Beinen spüren werde.
Zurück auf dem Gibbon Pass stärke ich mich mit einem Snack. Zwei Wanderer kommen aufgeregt auf mich zu. Ob ich das auf dem Berg gewesen sei und den Grizzlybären gesehen hätte. Er sei vor etwa einer dreiviertel Stunde wie von der Tarantel gestochen von Little Copper Mountain herunter und dann quer über den Pass auf der anderen Seite wieder hoch gerast. Sie zeigen mir auf ihrem Handy ein etwas unscharfes Bild von einem riesigen weißgrauen Grizzly. Es sei alles so schnell gegangen, dass sie kein besseres Foto schießen konnten. Ich reime mir zusammen, dass ich den Grizzly mit dem knallenden Flattern meiner zum Trocknen aufgehängten Zeltplane aufgeschreckt haben musste und er Hals über Kopf vom Berg floh. Gottseidank nicht in meine Richtung, da hatte ich noch einmal Glück. Die beiden sind Tageswanderer von der Shadow Lake Lodge und auf dem Weg dorthin zurück. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie heute Abend am Kaminfeuer die Geschichte von der grauhaarigen, alten Lady erzählt wird, die den Grizzly vom Berg gescheucht hat.
Ich mache mich zum letzten Teil meiner Strecke auf, die bekanntes Terrain für mich ist. Das ständige Bergauf und Bergab von einem See zum nächsten ist ermüdend. Infolge des Unwetters ist der Untergrund noch schwerer zu begehen als auf dem Hinweg. Ich muss mich sehr konzentrieren, was mich zusätzlich erschöpft.
Die Twin Lakes laden ein, kurz im Sonnenschein zu rasten. Am Ufer des Arnica Lake erspähe ich einen Angler, der sein Glück versucht. Auf der anderen Seite oberhalb des Vista Lake sehe ich seit über einer Stunde den Wanderparkplatz, auf dem mein Auto steht. Zum Greifen nahe, und doch noch so weit entfernt.
Endlich bin ich auf der Zielgeraden, ein letzter steiler Anstieg zum Parkplatz. Dort kommen mir einige Tageswanderer entgegen. Einer von ihnen hält sein mindestens dreißig Zentimeter großes Nebelhorn hoch und deutet lachend auf die Miniaturausgabe, die an meinem Rucksack baumelt. Seins sei für die großen Bären, meins für die kleinen, lache ich zurück. Der Parkplatz ist mit Wochenendbesuchern überfüllt, deren Autos bis hinaus auf den Seitenstreifen des Highways geparkt sind. Jeder möchte wissen, wie meine Wanderung war. Eigentlich zu erschöpft für die vielen Gespräche, bin ich erleichtert, als ich endlich meinen Rucksack abwerfen kann und im Auto sitze. Geschafft!
Leider habe ich hier keinen Handy-Empfang, aber an der Castle Mountain Kreuzung rufe ich schnell zu Hause an, um nach einer Woche endlich wieder ein Lebenszeichen von mir zugeben. Ich fahre nach Golden, wo ich im Dreamcatcher Hostel übernachte. Im nahegelegenen Supermarkt kaufe ich mir frisches Gemüse und bereite mir ein einfaches, aber köstliches Abendessen in der Hostelküche zu. Ich bin überaus zufrieden mit meinem Abenteuer und werde mit Sicherheit noch einmal zum Egypt Lake zurückkehren.